Das wunderschöne Bilderbuch „Das ist mein Baum“ (2020) von Olivier Tallec erscheint auf den ersten Blick recht einfach gestaltet. Fast durchgängig gibt es je Buchseite eine Bildfläche und darunter einen von der Bildfläche getrennten kurzen Text. Die Bilder sind kräftig farbig in Gelb- und Orangetönen (Ausnahme Baum: schwarz) gemalt und mit Buntstiftzeichnung ergänzt und verfeinert. Das Buch kommt außerdem ohne Zusatzelemente wie Klappen oder ähnlichem aus. Die einfache Gestaltung ist vor allem aber auch eines, nämlich klar, was aber nicht heißt, dass keine gestalterischen Überlegungen dahinterstecken.
Auf der Bild- und der Textebene wird parallel beziehungsweise sich ergänzend die Geschichte vom Eichhörnchen erzählt, das seinen Baum und seine Zapfen liebt und sie mit niemandem teilen will. Deswegen überlegt es sich, wie sie am besten geschützt werden können, nur um zu bemerken, dass es durch den Schutz des geliebten Baumes vielleicht den Genuss von vielen anderen Bäumen verpassen könnte. Der Text wäre ohne die Bilder weitgehend verständlich, gleiches kann man auch über die Bilder, die ohne den Text verständlich wären, sagen. Durch ihr Zusammenspiel ergänzen und bereichern sie sich aber maßgeblich. Schon am Cover trifft man auf den erzählenden Charakter der Bilder. Auch ohne den Titel wäre ganz eindeutig, was uns das Eichhörnchen sagen will. Zum Ende der Geschichte hin verändert sich das Zusammenspiel der beiden Ebenen – hier arbeiten sie nicht mehr parallel, sondern miteinander. Der letzte Teil Text gibt die Spekulationen des Eichhörnchens wieder, die am letzten Bild auf einer abfallenden Doppelseite ohne Text konterkariert werden.
Die Botschaft des Eichhörnchens, sein Streben nach Abgrenzung findet sich auch auf der Ebene des Layouts. Das für das letzte Bild gewählte Doppelseitenformat spiegelt das Gefühl des Eichhörnchens wider. Die wesentlich größere Bildfläche verdeutlicht die veränderten Dimensionen und zieht viel stärker in das Bild hinein. Gleichzeitig wird so auch eine gewisse Verlorenheit des Eichhörnchens vermittelt, das im letzten Bild nicht so wie vorher allein in seiner abgetrennten Bildfläche lebt.
Während Tallec dem Eichhörnchen seine Empfindungen meisterhaft ins Gesicht zeichnet, unterstützt er das neben der bereits erwähnten Formatwahl beziehungsweise den unterschiedlichen Größenverhältnissen auch durch die Farbwahl in den Bildern. Der schwarze Baum steht im starken Kontrast zu der freundlichen gelb-orangen Landschaft und tritt stärker in den Vordergrund, wenn das Eichhörnchen Angst oder Wut verspürt.
Die Schrift, getrennt von der Bildfläche, spielt als Gestaltungselement hingegen eine weniger zentrale Rolle. Die Schriftwahl – klassisch für Buchtexte: Serifen, schwarz, einheitlich groß – passt zu der erzählenden, begleitenden Funktion des Textes. Nur an zwei Stellen ist die Schrift etwas größer und steht auf einer Buchseite für sich. Damit werden zwei zentrale Stellen hervorgehoben, einerseits der Kern der Geschichte, die Botschaft des Eichhörnchens und andererseits das Ende auf der Textebene mit der letzten Spekulation des kleinen Protagonisten.
Die zentrale Botschaft kann man außerdem an mehreren Stellen finden so unter anderem wie bereits erwähnt am Cover aber auch am Haupttitel oder auf der Rückseite, wo jeweils das Eichhörnchen mit seinem Baum oder seinem Zapfen zu sehen ist und das durch seinen Gesichtsausdruck oder seine Haltung ganz klar ausdrückt, worauf sein Interesse liegt.