2/2 Das ABC-Buch | -> Das tolle ABC-Buch

„Das tolle ABC-Buch“ von Joke van Leeuwen ist ein sehr vielseitiges und eher im weiteren Sinne gelesenes ABC-Buch. Zum ABC-Buch wird es vor allem durch die Übersetzung. Der niederländische Originaltitel lautet „mooi boek“, was so viel wie „schönes Buch“ heißt. Das beschreibt den Inhalt wahrscheinlich auch besser als „ABC-Buch“, auch wenn das Alphabet sehr präsent ist, vor allem als künstlerisches Spiel mit den Buchstaben. Das Buch, das kurze Geschichten, (Buchstaben-)Bilder, Comics, Gedichte und eben Alphabete umfasst, orientiert sich im Ganzen nicht am Ordnungsprinzip des Alphabets. Die verschiedenen Inhalte wechseln sich ab, die Alphabete stehen in sich geschlossen dazwischen.

Insgesamt ist das Buch sehr von der Beschäftigung mit Buchstaben und den Möglichkeiten der Schrift geprägt. Den Einstieg macht ein Liebesgedicht an Buchstaben und Wörter:

toll
dass es Buchstaben gibt
woraus man ein Wort machen kann
und noch ein Wort

und noch ein Wort

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

und noch ein Wort 

toll
dass es Wörter gib
woraus man einen Satz machen kann
und noch einen Satz

und noch einen Satz

und noch einen Satz 

und noch einen Satz 

und noch einen Satz 

und noch einen Satz 

und noch einen Satz 

und noch einen Satz 

und noch einen Satz

Diese Freude am Spiel setzt sich auf den nachfolgenden Seiten fort. Insgesamt finden sich sechs Alphabete im Buch, die sich auf unterschiedliche Weise auf die Buchstaben einlassen. Das Turner-ABC lässt Menschen die Buchstaben formen, ein anderes findet Buchstaben zufällig in alltäglichen Gegenständen und Umgebungen wieder und wieder ein anderes setzt die Buchstaben in Verbindung mit Wörtern, um auch ihren Klang wiederzugeben. Durch einen beschreibenden Satz und ein Bild, das das Wort aber nicht den Buchstaben aufnimmt, wird die Diskrepanz zwischen dem Zeichen und seinem Einsatzgebiet deutlich. Ein „I“ hat, wie Pippi Langstrumpf bemerkt, mit einem Igel nichts zu tun.

Zwischen den Alphabeten gibt es außerdem Buchstaben-Wort-Bilder, die mit den Bedeutungsebenen spielen. Dabei wird zum Teil auch das Rückübersetzen von Begriffen ins Buchstabensystem, das Kinder beim Lesenlernen erleben, wiedergespiegelt. Einmal wird die Buchstabenfolge h u n d tatsächlich zu einem Hund oder ein Baum entsteht aus dem Wort Stamm, senkrecht und braun geschrieben und einem Knäuel vom grün geschriebenen Wort Blatt. Diese Darstellungen sind spannend, weil sie den Unterschied von Wörtern als semantische Einheit und Wörtern als Buchstabenfolge zeigen und so veranschaulichen, welche Leistung Lesenlernende vollbringen, wenn sie von der Buchstabenerkennung zur Worterkennung übergehen.

Über diese Buchstaben-Wort-Bilder hinaus arbeitet Joke van Leeuwen ausgiebig mit Typographie. Mit vielen verschiedenen Schriften-Farben-Größen zeigt sie, welche Bedeutungsfunktion die Typographie übernehmen kann. 

Von den Buchstaben weg einen Schritt weiter zum Wörter- und Sätzelesen geht das Buch in kleinen Texten und Geschichten. Sieben kleine Geschichten, die an die Voraussetzungen von Erstleser_innen angepasst sind – im Flattersatz, kurze Sätze und klarer, serifenloser Schrift – erzählen von sieben Tieren, die alle auf ihre Weise auch Lernende sind.

Zusätzlich gibt es auch eine Reihe Kurz-Comics. Diese haben zwar nichts mit dem Alphabet zu tun, präsentieren aber eine weitere Möglichkeit der Textvermittlung. Diese Form wird erst mit der eigenen Lesefähigkeit wirklich interessant, weil sich Comics schwer vorlesen lassen. Durch die starke Bildebene sind sie außerdem abwechslungsreich und können dadurch vielleicht auch zum Lesen motivieren.

Das Buch, das eigentlich mehrere Bücher in einem ist, ist kein ABC-Buch im klassischen Sinne. Die gewissen Andersartigkeit findet sich auch in den Inhalten wieder, die an mehreren Stellen ein Ausbrechen aus gewohnten Strukturen anbieten. Gerahmt wird das Ganze vom Thema Buchstaben-Schrift-Text und einer spürbaren Lust am Spiel damit.