4/1 Kinder-Literatur-Theorie

1. Fassen Sie mit eigenen Worten zusammen, worin der Unterschied zwischen den Begriffen Lesekompetenz und Literaturkompetenz liegt. Sollen Ihrer Meinung nach Lese- und Literaturkompetenz an unterschiedlichen oder an den gleichen Texten erworben werden?

Kinder erlangen Lesekompetenz idealerweise schon lange bevor sie selbst Texte lesen. Es geht dabei darum, Text- und Bilder(abfolgen) und erste Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Dafür braucht es nicht nur Bücher, auch erzählte Geschichten, Hörbücher, Filme etc. schulen die Lesekompetenz. Literaturkompetenz kann als Weiterführung der Lesekompetenz verstanden werden, die durch das Selberlesen, das Erarbeiten von Texten nach und nach weiterentwickelt wird. Damit wird es möglich, Texte auf mehr als der inhaltlichen Ebene zu verstehen – dazu gehört unter anderem das Wahrnehmen sprachlicher Ausdrucksformen, die Einordnung in einen größeren Zusammenhang oder das Erkennen intertextuelle Bezüge. Wenn man die Lesekompetenz als Vorstufe der Literaturkompetenz sieht, sehe ich keinen Sinn darin, zwischen der Art der Texte, anhand derer sie erworben werden, zu unterscheiden. Für den Leseeinstieg eignen sich natürlich Texte (insbesondere Bilder), die besonders auf der intuitiven Verständnisebene arbeiten, gleichzeitig kann man sich an Texten aber auch erfreuen bzw. an ihnen lernen, ohne sie auf allen Ebenen verstehen zu müssen.

2. Im aktuellen Skriptum werden die unterschiedlichen Gattungen angeführt, die im als Loseblattsammlung erscheinenden, von Kurt Franz herausgegebenen, Lexikon behandelt werden. Welche Gattung fehlt Ihrer Ansicht nach noch in diesem Lexikon? Warum?

Mir ist bei der Auflistung der Beiträge/Gattungen aufgefallen, dass es ein gewisses Ungleichgewicht bei der Behandlung der Textsorten gibt. Es gibt eigene Beiträge zum „Neujahrslied“, „Rätsel“, die „Kinderkurzgeschichte“ und zusätzlich die „Realistische Kinderkurzgeschichte“ etc. aber nur einen Eintrag „Sachbuch“, wo es doch innerhalb des Sachbuches viele Unterarten gibt. Auch fehlt das Drama bis auf den Eintrag „Papiertheater“ gänzlich. Damit fehlt meiner Meinung nach ein wichtiger Teil, weil Kindertheater, ähnlich wie Lesungen, die außergewöhnliche Kraft innewohnt, im unvermittelten Ereignis an Texte heranzuführen.

Mit Blick auf das aktuelle Skriptum und das Kapitel Mediale Erzählformate würde ich die Beiträge auch medial erweitern. Während zwar das „Kinderhörspiel“ und „Verfilmungen von Kinderliteratur“ angeführt werden, beziehen sich die Beiträge sonst vorrangig auf das Medium Buch. Durch Transmedia Storytelling werden aber Erzähluniversen eröffnet, die weit über das Buch hinausgehen (wenn sie auch dort beginnen können) und damit ihr Wirkungsfeld vergrößern. 

3.  Um die Inhalte des ersten Semesters noch einmal zusammenzufassen, laden wir Sie zu einer kleinen Umfrage ein. Befragen Sie ca. 3 Personen Ihrer Wahl, die nichts oder wenig mit dem Bereich KJL zu tun haben, persönlich, per E-Mail oder Telefon, zu deren Assoziationen zu diesem Bereich, das können Stichwörter, aber auch ganz konkrete Buchtitel sein. Kommentieren Sie diese Ergebnisse dann im Zusammenhang mit den bisher erworbenen Kenntnissen. Also z.B.: „Dieser genannte Buchtitel ist zwar Jugendlektüre, aber nicht intentionale Jugendliteratur.“, „An der Nennung dieses Begriffes zeigt sich die gewünschte Einstiegsfunktion von KJL, weil…“ oder „Das Phänomen der Lesepubertät zeigt sich hier insofern, als…“.

Die Antworten, die ich auf meine Befragung bekommen habe, überschneiden sich in weiten Teilen. Aufgefallen ist mir unter anderem, dass sich die ersten Assoziationen insbesondere auf das beziehen, was meine Interviewparter_innen als Kinderbücher verstehen, das sind zum Beispiel Geschichten von Christine Nöstlinger oder Astrid Lindgren, aber weniger auf Bilderbücher oder Jugendbücher, wozu erst auf Nachfrage Assoziationen gekommen sind. 

Ich vermute, dass das daran liegt, dass Bilderbücher oft nicht als literarisch wahrgenommen werden, was ihrer bedeutenden Rolle für den Erwerb der Lese- und später Literaturkompetenz nicht gerecht wird. 

Jugendliteratur andererseits haben meine Interviewpartner_innen weniger stark abgetrennt von Erwachsenenliteratur gesehen, das zeigt sich auch daran, dass ihr die schulische (Pflicht)lektüre zugesprochen wird. Während die entsprechenden Texte oft keine intentionale Jugendliteratur sind, wird als Merkmal der (intentionalen) Kinder- und Jugendliteratur häufig die moralische, erzieherische sowie aufklärerische, problemorientierte Funktion für Kinder respektive Jugendliche gesehen, was sich am Markt in weiten Teilen auch so zeigt. 

Ein weiterer mehrfach genannter Aspekt war die Qualität von Kinder- und Jugendliteratur, die unterschiedlich beurteilt wird. Einerseits habe ich die Antwort bekommen, dass KJL Trash ist, andererseits die Wahrnehmung, dass KJL oft runtergemacht wird, weil sie simpler geschrieben wird. Beide Beobachtungen sind in bestimmtem Ausmaß zutreffend – während es im Bereich der KJL tatsächlich viel Trash gibt (nicht nur dort), ist eine gewisse Einfachheit in den Texten vorherrschend, die sie aber nicht zu qualitativ minderwertigen Texten macht, sondern dem Kontext der kindlichen Wahrnehmung gerecht werden soll.