3/2 Der Kinderroman | -> Elke
In der Einleitung zum aktuellen Skriptum beschreibt Andrea Kromoser wovon darin berichtet werden soll folgendermaßen: „Von Kindern, die niemals oder nur ganz selten die Augen zumachen und Autor_innen, deren Texte gesellschaftliche Realität erzählend reflektieren.“ Für mich ist das eine wunderbare Definition des Genres des Kinderromans, das ich bis dahin schwer zu fassen bekam. Dass der Begriff sich eigentlich auf den realistischen Kinderroman bezieht, wurde mir vor allem in der Besprechung der einzelnen Bücher bewusst und damit auch, dass es sich dabei um ein Genre handelt, mit dem ich mich in Zukunft weiter beschäftigen möchte.
Es freut mich, dass es hier noch so viel zu entdecken gibt und so habe ich mich für die Hausübung gleich mit einer Entdeckung im Skriptum näher auseinandergesetzt:
„Elke“ (2015) von Christian Duda.
„Elke“ erzählt von Elke, Kasimir, Vater, Uwe, Serge, Chantal… einem „Kollektiv von unterschiedlichen Menschen, die das Leben zufällig zusammengebracht hat“ wie es Andrea Kromoser beschreibt. Eine Besonderheit ist, dass es nicht der kindliche Protagonist Kasimir ist, der im Mittelpunkt steht und auch nicht die erwachsene, titelgebende Elke – alle Figuren bekommen den gleichen Raum, die Möglichkeit, ihre Perspektive oder ihr Verständnis von Situationen mit den Leser_innen zu teilen.
Christian Duda wählt dafür eine heterodiegetische Erzählweise. Der Erzähler steht außerhalb des Geschehens und weiß über alle Figuren und den Verlauf der Geschichte Bescheid. Er ist aber trotz seiner Allwissenheit kein belehrender Erzähler, sondern nimmt alle Figuren mit deren Gedanken und Motivationen gleich ernst. Kinder und Erwachsene stehen sich gleichwürdig gegenüber. Auch wenn der Erzähler außerhalb steht, kommen Leser_innen den Figuren nahe. Dadurch, dass die Erzählung nicht nur auf eine der Figuren fokussiert, bekommt man als Leser_in außerdem Einblick in das Erleben und Empfinden vieler unterschiedlicher Personen und kann dabei so manches über Zwischenmenschliches und gesellschaftliche Konventionen erfahren.
Am Anfang der Geschichte steht das Aufeinandertreffen von Kasimir und Elke, aus dem sich eine Freundschaft entwickelt, die weitere Bekanntschaften und Freundschaften nach sich zieht. Damit ist ein perfekter Rahmen für die Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Besonderheiten gegeben. Wichtig sind dafür auch die Altersunterschiede und wahrgenommene Hierarchien.
Nachdem sich Kasimir und Chantal (die zwei Kinder der Geschichte) kennengelernt haben, treffen sie sich, ganz auf Erwachsenenart, in Uwes Café. Hier wird Chantals Wahrnehmung der Situation wiedergegeben:
„Chantal schaute sich zaghaft um, doch wohin sie auch sah, überall saßen Erwachsene und starrten zurück. Einzig Kasimir blickte verlegen ins Leere. Sie hätte gerne etwas gesagt, aber alles was ihr einfiel, war: „Ich heiße Chantal und wie heißt du?“ So blieb sie wie versteinert sitzen und wäre am liebsten rausgerannt.“
Kasimir geht es in der Situation genauso. Aber zugeben würden sie das, auch ganz auf Erwachsenenart, nicht.
Diese neue Freundschaft führt auch dazu, das Kasimir weniger Zeit mit seinem Vater verbringt, der das nicht so gelassen nimmt, wie man vielleicht von einem Erwachsenen erwarten würde: „Er fühlte sich ausgestoßen, an den Rand gedrängt. Er fühlte sich gar nicht wohl! Allerdings konnte er das nicht zugeben, weil er ja schon groß war, und dann tut man sowas nicht.“
In seinen vielseitigen Wirklichkeitserkundungen – es werden auch Themen wie Armut, Alkoholismus, Krankheit, Tod… angerissen – und damit auch dem Ernstnehmen der Leserschaft, steht das Buch ganz in der Tradition des modernen Kinderromans. Außergewöhnlich ist die vielstimmige, nicht auf das Innenleben einer_eines einzigen Protagonist_in fokussierten Erzählweise. Quellen potentieller Missverständnisse können so aufgedeckt und das gegenseitige Verständnis gestärkt werden. Außerdem wird dem_der Leser_in mehr Raum für eine Positionierung oder Identifikation gegeben. Das spiegelt sich auch in den Illustrationen von Julia Friese zu Beginn jedes Kapitels wider. Andrea Kromoser beschreibt sie im Skriptum als „leere Bühne“, die das Zusammenkommen vielschichtiger Charaktere ermöglicht und Freiraum für Realitätserkundungen lässt. Dadurch, dass auf den Bildern, nur Gegenstände aber keine der Figuren zu sehen sind, sehe ich in ihnen auch die Möglichkeit, sie sich zu eigen zu machen und selbst an der Handlung beobachtend teilzunehmen.